Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes - Kleinbetriebsklausel
- Darlegungs- und Beweislast
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2005,
Aktenzeichen: 2 AZR 373/03
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Auszüge aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der bis zum 31.
Dezember 2003 geltenden Fassung gelten die Vorschriften des
Ersten Abschnitts über den allgemeinen Kündigungsschutz
grundsätzlich nicht für Betriebe, in denen in der
Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich
der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt
werden.
Für die Feststellung der Zahl der in der Regel
Beschäftigten kommt es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt
des Zugangs der Kündigung, nicht hingegen auf den Zeitpunkt
der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an.
Da § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die Ermittlung der
Betriebsgröße auf die Zahl der in der Regel beschäftigten
Arbeitnehmer abstellt, ist die Beschäftigungslage maßgebend,
die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist.
Eine zufällige tatsächliche Beschäftigtenzahl
zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs ist unbeachtlich.
Deshalb bedarf es zur Feststellung der regelmäßigen
Beschäftigtenzahl grundsätzlich eines Rückblicks
auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und
einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung,
wobei Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen
Geschäftsanfalls nicht zu berücksichtigen sind.
2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats trägt
der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das
Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für eine
Geltung des Kündigungsschutzgesetzes. Ein solcher Vortrag
gehört grundsätzlich zur Begründung der Klage.
Dass ein Betrieb bis zu fünf Arbeitnehmern die Ausnahme
ist und deshalb die Prozesspartei, die sich auf die Ausnahme
beruft, die Beweislast trägt, folgt nicht zwingend aus
dem Wortlaut der Norm und entspricht auch nicht den tatsächlichen
Verhältnissen der deutschen Wirtschaft. Der Arbeitnehmer
muss demnach im Einzelnen darlegen und ggf. beweisen, in einem
Betrieb tätig zu sein, in dem in der Regel mehr als fünf
Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung
Beschäftigten beschäftigt sind. Ob an dieser Verteilung
der Darlegungs- und Beweislast nicht mehr festzuhalten ist
- wie das Landesarbeitsgericht meint -, weil der Satz 2 des
§ 23 Abs.1 KSchG als Ausnahmetatbestand gefasst sei und
der Arbeitgeber auch über die sachnäheren Informationen
verfüge oder ob dies etwa im Hinblick auf die gesetzlichen
Änderungen durch das Arbeitsmarktreformgesetz vom 24.
Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3002) in § 23 Abs. 1 Satz
2 und 3 KSchG nF geboten erscheint, bedarf vorliegend keiner
Entscheidung. Auch unter Anwendung der Grundsätze der
bisherigen Rechtsprechung des Senats unterfällt das Arbeitsverhältnis
des Klägers dem allgemeinen Kündigungsschutz des
KSchG. Nachdem der Kläger schlüssig auf die zum
Kündigungszeitpunkt unstreitig vorhandenen sechs Arbeitnehmer
hingewiesen hatte, hätte die Beklagte substantiiert zur
regelmäßigen Betriebsgröße und Nichtanwendung
des Kündigungsschutzgesetzes erwidern müssen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
kommt dem objektiven Gehalt der Grundrechte, hier des Art.
12 GG, im Verfahrensrecht eine hohe Bedeutung zu. Der Stellenwert
der Grundrechte muss sich insbesondere in der Darlegungs-
und Beweislastverteilung widerspiegeln. Im Kündigungsrecht
dürfen deshalb keine unzumutbar strengen Anforderungen
an die Darlegungslast des Arbeitnehmers gestellt werden. Dies
gilt um so mehr, als der Arbeitgeber auf Grund seiner Sachnähe
ohne weiteres substantiierte Angaben zum Umfang und zur Struktur
der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen
machen kann. Dementsprechend genügt der Arbeitnehmer
regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er die für
eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen
und ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig
darlegt. Der Arbeitgeber muss dann nach § 138 Abs. 2
ZPO im Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Umstände
gegen solche substantiierten Darlegungen des Arbeitnehmers
sprechen. Das bedeutet im Einzelnen, der Arbeitnehmer
muss regelmäßig zumindest - ggf. durch konkrete
Beschreibung der Personen angeben, welche mehr als fünf
Arbeitnehmer zum Kündigungszeitpunkt im Betrieb beschäftigt
sind. Sind im Kündigungszeitpunkt aber mehr als fünf
Arbeitnehmer tätig und ist dies unstreitig oder vom Arbeitnehmer
substantiiert dargelegt worden, erfordert es der Grundsatz
der abgestuften Darlegungs- und Beweislast, dass nunmehr der
sachnähere Arbeitgeber erwidern und dazu die Tatsachen
und Umstände substantiiert darlegen muss, aus denen sich
ergeben soll, dass dieses Ergebnis zufällig ist und regelmäßig
- bezogen auf die Vergangenheit und vor allem für die
Zukunft - weniger Beschäftigte im Betrieb tätig
waren bzw. wieder sein werden. Dies gilt umso mehr, als der
Arbeitnehmer häufig weder über die vergangenen,
länger als sechs Monate zurückliegenden Zeiträume
- oft auf Grund einer nur kurzen Beschäftigungsdauer
- aus eigener Kenntnis vortragen kann noch über die zukünftige,
vom Arbeitgeber beabsichtigte Beschäftigungsentwicklung
entsprechende Informationen haben wird. Etwas anderes wird
nur in den Fällen anzunehmen sein, in denen die Kündigung
zu einem Zeitpunkt zugeht, in dem im Betrieb fünf oder
weniger Mitarbeiter beschäftigt werden. Zu einem entsprechenden
substantiierten Sachvortrag des Arbeitgebers im Rahmen einer
abgestuften Darlegungs- und Beweislast gehört dabei insbesondere
eine Darstellung über das - zukünftige - betriebliche
Beschäftigungskonzept.
b) ...
Hinweis: In dieser Entscheidung ist
von einem Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern
die Rede. Sie bezieht sich auf die Rechtslage, die vor
Inkrafttreten des Arbeitsmarktreformgesetzes vom 24.
Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3002) galt. Hier lag der
Schwellenwert bei nur fünf Arbeitnehmern. Durch
das Arbeitsmarktreformgesetz wurde der Schwellenwert
auf zehn Arbeitnehmer erhöht.
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