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Sexuelle Belästigung: Busengrabschen - führt nicht immer zur außerordentlichen Kündigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 -

Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist "an sich" als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob sie im Einzelfall zur fristlosen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, unter anderem von ihrem Umfang und ihrer Intensität.


Sachverhalt:

Der ArbN ist beim ArbG seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Am 27.7.12 betrat der ArbN die Sozialräume, um sich umzuziehen. Er traf dort auf Frau M., Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Während des Gesprächs und als sie alleine waren, sagte der ArbN zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der ArbN ließ sofort von ihr ab, zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. schilderte den Vorfall später ihrem ArbG. Vier Tage später bat der ArbG den ArbN zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. "Die Sache" tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

An denselben Tag kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis außerordentlich. In der Folge richtete der ArbN ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Das gegen den ArbN eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der ArbN hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er trug vor, er habe den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Der ArbG meint, die Entschuldigungen des ArbN seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr stattgegeben.

Entscheidung des Gerichts:

Das BAG folgte den Ausführungen des LAG. Das LAG habe zwar zu Recht einen "an sich" wichtigen Grund angenommen. Der ArbN habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er habe Frau M. sexuell belästigt. Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist "an sich" als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, unter anderem von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9.6.11, 2 AZR 323/10). Der ArbN habe Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

Dennoch sei es dem ArbG zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls habe eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht. Bei der Prüfung, ob dem ArbG eine Weiterbeschäftigung des ArbN trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar sei, sei in einer Gesamtwürdigung das Interesse des ArbG an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des ArbN an dessen Fortbestand abzuwägen. Zu berücksichtigen seien das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des ArbN, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach habe der ArbG bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen, wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung, zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hänge von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränke das Auswahlermessen insoweit ein, als der ArbG die Benachteiligung zu "unterbinden" hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit seien nur solche Maßnahmen, von denen der ArbG annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, das heißt eine Wiederholung ausschließen (BAG 9.6.11, 2 AZR 323/10).

Im vorliegenden Fall lägen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Das LAG sei zu Recht davon ausgegangen, dass der ArbN nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen "Blackout" wolle er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges "Augenblicksversagen" gehandelt habe. Es spräche nichts dafür, dass der ArbN sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, "angeflirtet" zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen. Auch betonte das Gericht, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt habe.


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